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MitteilungVeröffentlicht am 7. Juli 2025

«Ich werde dafür geradestehen»

Verteidigungsminister Martin Pfister lässt alle Top-Beschaffungsprojekte seines Departements durchleuchten. Im Interview mit der NZZ am Sonntag verspricht er Transparenz und schliesst personelle Konsequenzen nicht aus.

06.07.2025 / NZZ am Sonntag, Daniel Foppa und Simon Marti

Herr Bundesrat, wann haben Sie von den Mehrkosten beim F-35-Kampfjet erfahren?
Martin Pfister: Nachdem der Rüstungschef am 11. Juni in den USA in Gesprächen mit der US-Rüstungsbehörde über die Forderungen informiert worden war, erfuhr ich erstmals von konkreten Mehrkosten. Allerdings bin ich zuvor schon orientiert worden, dass die USA den Festpreis infrage stellen. Und der Bundesrat war bereits von meiner Vorgängerin über drohende Mehrkosten informiert worden.

Weshalb sagten Sie dann in der Sitzung der Geschäftsprüfungskommission von Mitte Mai, es laufe alles nach Plan?
Die Beschaffung selbst läuft ja nach Plan, die ist nicht gefährdet. Und Mitte Mai hatten wir noch keine bezifferte Forderung der Amerikaner auf dem Tisch. Wir wussten lediglich, dass die US-Regierung in Verhandlungen mit dem Hersteller Lockheed Martin steckt. Sie können nicht damit beginnen, den Preis öffentlich zu diskutieren, bevor konkrete Forderungen auf dem Tisch liegen. Denn dann würden Sie präventiv den Festpreis infrage stellen, obwohl aus unserer Sicht die Festpreisvereinbarung mit den USA juristisch nach wie vor gilt.

Diese Vereinbarung vom Dezember 2021 liegt uns vor. Darin heisst es lediglich, die Schweiz erhalte den Jet «zum selben Preis» wie die US-Regierung. Von einem Fixpreis steht da nichts.
Diese Vereinbarung ist ein Zusatz zum eigentlichen Vertrag. Sie wurde erstellt, um die Frage des Fixpreises zu bekräftigen, und unserer Ansicht nach tut das diese Vereinbarung. Auch zwei unabhängige Gutachten einer Schweizer und einer US-Kanzlei haben dies festgehalten. Zudem hat es die US-Botschaft bestätigt.

Wie erklären Sie sich dann das gegenwärtige «Missverständnis» über den Preis?
Ich weiss nicht, wie es auf US-Seite zu diesem Missverständnis kam. Ich kann es aber zu einem gewissen Grad nachvollziehen, weil es derzeit zu grossen Preissteigerungen bei der F-35-Produktion kommt und die Amerikaner meist keine solchen Verträge abschliessen.

Das sagen uns auch alle befragten Rüstungsexperten: Die US-Regierung garantiert bei Rüstungskäufen nie einen Festpreis. Und ausgerechnet wir Schweizer glaubten, wir hätten das rausholen können?
Ich verstehe nicht ganz, dass man jetzt meiner Vorgängerin den Vorwurf macht, dass sie einen besseren Preis als üblich ausgehandelt habe. Eigentlich müsste die Schweiz froh sein.

Es hat ja eben nicht funktioniert.
Immerhin hat es Viola Amherd versucht. Und weil sie selbst Zweifel hatte, liess sie diese Gutachten erstellen.

Und ignorierte die Warnungen der Finanzkontrolle, die darauf hinwies, dass der Fixpreis kein Fixpreis nach Schweizer Verständnis sei.
Die Finanzkontrolle hat vor allem darauf hingewiesen, dass man einen Vertrag mit einem anderen Land nicht rechtlich einklagen kann. Das ist ein bekanntes Grundproblem, das sich auch bei künftigen Rüstungsbeschaffungen mit anderen Regierungen stellen wird. Vielleicht müssen wir in Zukunft stärker auf diese Problematik hinweisen, vielleicht wurde das bisher zu wenig gemacht, und es wurde zu viel versprochen. Diese Kritik kann man sicher anbringen.

Steht denn im Kaufvertrag ein Fixpreis und wie viele Flugzeuge wir dafür erhalten?
Der Vertrag ist vertraulich, wir können ihn nicht veröffentlichen.

Und die erwähnten Gutachten?
Es ist mein Wille, die zu veröffentlichen.

Es kann sein, dass sich dabei auch die Frage nach personellen Konsequenzen stellen wird.

Sie rechnen mit Mehrkosten von 750 Millionen bis 1,35 Milliarden Franken. Reisen Sie nun persönlich in die USA, um zu versuchen, diese Kosten zu senken?
Es ist durchaus möglich, dass ich selbst in die USA reise, um die entsprechenden Gespräche zu führen. Wir wollen rasch Klarheit schaffen. Das hängt jedoch von den Amerikanern ab, und die haben derzeit auch noch andere Prioritäten.

Läuft es darauf hinaus, dass wir am Schluss weniger als die bestellten 36 Flugzeuge erhalten?
Das ist eine Option. Ich werde jedenfalls den Volksentscheid respektieren, der höchstens sechs Milliarden für die Flugzeuge freigegeben hat. Meine Hoffnung ist immer noch, dass wir uns preislich finden können. Eventuell müssen wir auch bei den Offsetgeschäften in der Schweiz Abstriche machen, die verteuern die Beschaffung zusätzlich.

Wenn die Schweiz weniger als 36 Jets beschafft, funktioniert das geplante Luftverteidigungskonzept nicht mehr. Müssen Sie es anpassen?
Das ist ohnehin ein Thema. Das Luftverteidigungskonzept wurde noch vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs verabschiedet. Wegen des Kriegs in Europa werden wir uns aber grundlegend mit unserer Verteidigungsfähigkeit auseinandersetzen müssen. Dazu gehört auch die Flugabwehr. In den heutigen Kriegen und Konflikten ist die Bedrohung aus der Luft sehr ausgeprägt, das sah man jüngst in Israel und Iran.

Heisst das, Sie setzen stärker auf bodengestützte Luftverteidigung?
Mit dem Programm «Air 2030» soll neben den Jets ja auch die bodengestützte Luftverteidigung ausgebaut werden. Und mit der Armeebotschaft 2024 wurden bereits Kredite für ein System beschlossen, das auf mittlere Distanz Lenkwaffen bekämpfen kann.

Bei «Air 2030» gibt es noch mehr Probleme. Einen Teil der Patriot-Lenkwaffen erhalten wir verspätet. Wird auch der Preis höher ausfallen?
Die Patriot-Lenkwaffen werden wegen der höheren Mehrwertsteuer und Währungsschwankungen 27 Millionen teurer werden, aber das hat nichts mit der Diskussion um den F-35 zu tun. Die Preise von Rüstungsgütern explodieren im Moment, weil die Nachfrage derart gross ist. Unsere Erfahrung zeigt aber, dass die USA ein zuverlässiger Rüstungspartner sind.

Der Bundesrat will nur noch 10 Prozent der Rüstungsgüter in den USA und weiteren Ländern ausserhalb Europas beschaffen. Wie reagieren Sie, wenn Frankreich der Schweiz ein attraktives Angebot für den Rafale-Jet macht?
Diese 10 Prozent sind eine Zielgrösse, wir müssen offen bleiben für Rüstungsgeschäfte mit den USA. Zudem sind wir gehalten, den Vertrag mit den Amerikanern zu erfüllen. Der Bundesrat hält am F-35 fest. Wir haben uns bewusst für diesen Jet entschieden, der dem Rafale und den anderen Flugzeugen technologisch weit überlegen ist. Das ganze F-35-System wird vom Nordkap bis Sizilien eingesetzt, ist also auch ein zutiefst europäisches System.

Die Rafale ist also kein Thema?
Nein. Als Ersatz für den F/A-18 brauchen wir nun rasch einen Jet der neusten Generation mit den Fähigkeiten eines F-35.

Wie gross schätzen Sie den Vertrauensverlust ein, der durch das Kostendebakel beim F-35 entstanden ist?
Ich bedauere die ganze Entwicklung natürlich. Mein Ziel ist es, mit Transparenz Vertrauen wiederherzustellen. Beim F-35 erkenne ich jedoch kein Systemversagen und auch kein Missmanagement.

Dramatisch ist die Lage auch bei den Aufklärungsdrohnen. Hier wird gar ein Abbruch des Projekts erwogen, wie Ihr Rüstungschef zu SRF sagte. Wann ziehen Sie die Reissleine?
Die Beschaffung hat schon seit Jahren grosse Probleme. Nun sind wir definitiv an einem Punkt angelangt, wo wir uns überlegen müssen, ob sie sich überhaupt noch realisieren lässt. Wir prüfen aber auch, fortzufahren und auf Funktionen zu verzichten. Wenn alles geklärt ist, werde ich offen darüber informieren. Ich will hier in den kommenden Monaten Klarheit haben.

Das Projekt kostet 300 Millionen Franken, der Grossteil wurde bereits bezahlt. Bei einem Abbruch drohen der Verlust dieses Geldes und Zusatzforderungen des Herstellers. Kann die Schweiz nicht Geld zurückverlangen, weil die Israeli verspätet und mangelhaft lieferten?
Ein Abbruch wie auch eine Anpassung des Projekts haben verschiedene Vor- und Nachteile – militärisch, finanziell, rechtlich und auch politisch. Die Konsequenzen dieser Optionen analysieren wir intern und verhandeln sie mit dem Hersteller.

Mit der neuen Digitalisierungsplattform der Armee ist ein weiteres zentrales Projekt in Schieflage. Erfolgt der Start wie geplant 2026?
Das ist ebenfalls ein anspruchsvolles Projekt. Aber die definierten Tests und Meilensteine können nun eingehalten werden. Nächstes Jahr folgt der Truppentest. Gemäss Auskunft von allen Beteiligten sollten wir hier auf Kurs sein, auch wenn noch nicht alle internen Kontrollen abgeschlossen sind.

Haben all die Probleme und Mehrkosten bei den Beschaffungen in Ihrem Departement personelle Konsequenzen? Bisher musste niemand dafür Verantwortung übernehmen.
Ich lasse alle 17 Topprojekte aufarbeiten und werde dafür geradestehen. Es kann sein, dass sich dabei auch die Frage nach personellen Konsequenzen stellen wird.

Beim Militärflugplatz Meiringen kam es zu verdächtigen Flugbewegungen von Drohnen. Die Armee schliesst nicht aus, dass dies Aufklärungsaktivitäten ausländischer Nachrichtendienste sind. Was unternehmen Sie dagegen?
Die Sicherheit der Militärflugplätze muss erhöht werden; wegen der gegenwärtigen Sicherheitslage und wegen Auflagen der Amerikaner im Zusammenhang mit dem F-35-Kauf. Die Auflagen zum Schutz dieses sensiblen Rüstungsguts sind höher, als wir ursprünglich gedacht haben.

Die Auflagen zum Schutz des F-35 sind höher als gedacht.

Welche Massnahmen sind geplant?
Wir bereiten einen Massnahmenmix vor. Dazu gehören unter anderem eine Drohnen-Flugverbotszone, mehr Tarnung und mehr Sichtschutz. Eventuell auch eine Ausweitung der Sperrzone um die Flugplätze herum. Die Ausgaben für die Sicherheit und die Teuerung beim Bauen führen zu Mehrkosten von 60 Millionen Franken.

Laut Ihrem Departement muss davon ausgegangen werden, dass ausländische Nachrichtendienste gegen die Schweizer Armee Spionageaktivitäten durchführen. Wer steckt dahinter?
Die grösste Bedrohung geht vom russischen Nachrichtendienst aus. Aber auch der chinesische Nachrichtendienst ist sehr aktiv in der Schweiz. Unser Nachrichtendienst legt einen Schwerpunkt in der Abwehr dieser Bedrohungen. Doch seine Ressourcen sind begrenzt.

Sie betonen stets die Wichtigkeit internationaler Kooperation, auch beim Nachrichtendienst. Nun hat der Bundesrat Sondierungsgespräche für eine Sicherheits- und Verteidigungspartnerschaft mit der EU beschlossen. Ist das mit der Neutralität vereinbar?
Das ist absolut vereinbar. Diese Partnerschaft ist eine Voraussetzung für gemeinsame Rüstungsbeschaffungen mit EU-Staaten im Rahmen des Finanzierungsinstrumentes «Safe». Dadurch können wir von grösseren Bestellmengen und niedrigeren Preisen profitieren. Wie beim Nato-Programm «Partnership for Peace» gilt: Diese Plattform ermöglicht auch weitergehende Zusammenarbeitsformen, aber sie führt zu keinen Verpflichtungen.

Trotzdem steigt im Parlament das Unbehagen, die Neutralität werde zu flexibel gehandhabt. Deshalb wollen Politiker aus Ihrer Partei die Neutralität stärker in der Verfassung verankern, als Gegenvorschlag zur SVP-Neutralitätsinitiative.
Die Neutralität gehört zur aussenpolitischen Identität der Schweiz. Historisch gesehen hat sie aber eine sehr starke innenpolitische Komponente; sie half, innerschweizerische Konflikte wegen unterschiedlicher Loyalitäten zum Ausland zu entschärfen. Die Neutralität benötigte immer eine gewisse Flexibilität in der Anwendung, damit man die Interessen der Schweiz wahren konnte. Deshalb lehnt der Bundesrat den Gegenvorschlag ab.

Wie erleben Sie die Bundesratssitzungen, in denen solche Beschlüsse gefasst werden?
Ich erlebe einen starken Willen, gut zusammenzuarbeiten. Die Atmosphäre ist sehr ­kollegial.

Kann diese Kollegialität auch zu weit gehen – man interveniert nicht beim Geschäft eines Kollegen, damit man sein eigenes durchbekommt?
Diese Gefahr besteht in jeder Kollegialregierung. Es ist entscheidend, dass man auch kontrovers diskutiert. Das geschieht durchaus im Bundesrat.

Bei der AHV offensichtlich kaum. Der Bundesrat ist bürgerlich dominiert – will die Finanzierungslücken aber über höhere Steuern und Lohnabzüge schliessen, ohne das Rentenalter zu erhöhen. Die linke Minderheit hat gesiegt, von Ihnen kam kein Widerstand.
Wir haben hier die besondere Situation, dass das Volk vor kurzem eine Rentenalter-Erhöhung abgelehnt hatte. Deshalb hat der Bundesrat auf andere Finanzierungsformen gesetzt. Aber dieser Entscheid ist ein Zwischenschritt, der nicht ausreicht, um die Zukunft der AHV zu sichern. Die nächste AHV-Reform wird kommen müssen.