«Wir erleben eine sicherheitspolitische Zäsur in Europa»
Verteidigungsministerin Viola Amherd äussert sich im Walliser Boten zu den Herausforderungen, denen sich die Schweiz in der aktuellen Situation im Zusammenhang mit der Krise an den Grenzen der Ukraine stellen muss.
25.02.2022 | Walliser Bote
Interview: Samuel Burgener
Frau Bundesrätin Amherd, wie blicken Sie auf die Geschehnisse in der Ukraine?
Die Schweiz verurteilt den russischen Angriff auf die Ukraine scharf. Wir erleben nun eine massive weitere, auch militärische Eskalation des Konflikts. Ich mache mir um die Zivilbevölkerung in der Ukraine grosse Sorgen, ebenso um eine weitere Ausweitung des Konflikts.
Inwiefern sind Sie derzeit in Diskussionen um den Ukraine-Konflikt beteiligt?
Es gibt einen Austausch auf verschiedenen Stufen schon über längere Zeit. In den letzten Tagen hat sich dieser noch einmal verstärkt. Der Sicherheitsausschuss des Bundesrates, den ich präsidiere, hat sich seit Beginn der Eskalation intensiv mit dem Thema befasst. Die Lage, die Haltung und die Folgen für die Schweiz werden auch im Bundesrat diskutiert.
Sind Sie als VBS-Chefin besonders exponiert?
Ich würde nicht sagen exponiert, aber sehr wohl davon betroffen. Es geht um einen bewaffneten Konflikt in Europa und damit erleben wir eine eigentliche sicherheitspolitische Zäsur in Europa. Als Verteidigungsministerin und Vorsitzende des Sicherheitsausschusses des Bundesrates muss ich mich mit der Bedrohungslage und den Folgen für die Schweiz befassen, und das tue ich auch.
Wie soll sich Ihrer Meinung nach die Schweiz aussenpolitisch verhalten?
Die Schweiz hat auf die russische Anerkennung der abtrünnigen Provinzen in der Ostukraine umgehend reagiert, diese als Bruch des Völkerrechts und Angriff auf die Souveränität sowie Integrität der Ukraine bezeichnet. Nun ist mit dem Angriff auf die Ukraine noch einmal eine drastische Ausweitung des Konflikts erfolgt und die Schweiz verurteilt dies scharf.
Und weiter?
Es geht nun darum, auf Basis der Fakten weitere mögliche indirekte oder direkte Folgen für die Schweiz zu analysieren und die nötigen Massnahmen zu beschliessen. Verschiedenste Bereiche könnten betroffen sein, von der Energieversorgungssicherheit über Flüchtlingsbewegungen bis hin zu Beeinflussungsaktivitäten und Cyberangriffen oder auch wirtschaftliche Folgen. In den jeweiligen zuständigen Departementen wird intensiv daran gearbeitet.
Könnte die Schweiz Ihrer Meinung nach Sanktionen aussprechen und trotzdem neutral bleiben?
Der Bundesrat hat bereits nach der Annexion der Krim durch Russland zwar nicht die Sanktionen der EU übernommen, aber Massnahmen beschlossen, damit die Schweiz nicht für Umgehungsgeschäfte missbraucht werden kann. Der Bundesrat wird nun entscheiden, wie er auf die russische Invasion und die Verschärfung der Sanktionen der EU reagieren wird.
Wie verpflichtend ist das Neutralitätsrecht in diesem Fall?
Das Neutralitätsrecht verpflichtet die Schweiz nur, keiner Seite eines internationalen bewaffneten Konflikts militärische Unterstützung zukommen zu lassen. Daran wird sich die Schweiz auch halten.
Wie blicken Sie auf die kommenden Tage?
In der aktuellen Situation gibt es wenig Grund für Optimismus. Die Diplomatie ist bislang leider gescheitert. Aber es wird zweifellos der Moment kommen, in dem wieder Diplomatie gefragt sein wird. Sobald es wieder Raum für Diplomatie und Vermittlung gibt, wird die Schweiz alles ihr Mögliche tun, um einen Beitrag zur Lösungsfindung zu leisten.