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Hyvää huomenta, Bundesrat!

Pälvi Pulli ist die wichtigste sicherheitspolitische Beraterin des Bundesrats. Sie war nie in der Armee. Und sie kommt aus Finnland. Hat sie Putins Pläne deshalb so früh durchschaut? 

29.08.2022 | Christoph Lenz, Das Magazin (Tamedia)

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Pälvi Pulli, Chefin Sicherheitspolitik VBS. © Keystone-SDA


Im April 2021, lange bevor Wladimir Putin damit begann, seine Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammenzuziehen, legte der Bundesrat seinen neuen Sicherheitspolitischen Bericht vor. Das Ereignis: maximal unspektakulär. Es handelte sich bloss um eine erste Fassung, einen Entwurf zur Vernehmlassung. Alles noch weich, formbar und auf sehr schweizerische Art provisorisch: Der Bundesrat sieht es grosso modo so, aber wenn jemand damit ein Problem hat, ist der Bundesrat flexibel.

In einem Punkt aber war der Bericht ohne jede Relativierung, klar und kalt wie Gletscherwasser. Der Punkt war die Gefahr, die von Putin ausgeht: «Russland will insbesondere entlang den Grenzen der früheren Sowjetunion eine exklusive Einflusssphäre konsolidieren», stand da. Und weiter: «Russland hat sein militärisches Potenzial deutlich verstärkt und strebt an, im Westen Krieg gegen einen starken konventionellen Gegner führen zu können.» Auch die Folgen eines solchen Konflikts benannte der Bericht vom April 2021: «Ein schwerwiegender Krisenfall an der Nato-Ostgrenze würde zu einer grossen Herausforderung für Europa und könnte zu politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Instabilitäten führen, ebenso zu Ausfällen der Versorgungsketten sowie Migrationsbewegungen.»

Inzwischen befinden sich gemäss UN-Angaben mindestens zwölf Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer auf der Flucht vor dem Krieg. Es droht eine globale Hungerkrise. Europas Energieversorgung ist gefährdet. Abgeschnittene Handelswege und knappe Rohstoffe befeuern die Inflation. Ein nervöses Krisenflackern hat den Westen erfasst. Der Bundesrat hat all dies mit bemerkenswerter Klarsicht vorausgesagt. Das heisst: Im Grunde war es natürlich nicht der Bundesrat. Geschrieben hat den Sicherheitspolitischen Bericht eine Frau namens Pälvi Pulli mit ihrem Team. Seit gut vier Jahren ist Pälvi Pulli Chefin Sicherheitspolitik im Verteidigungsdepartement. Gemeinsam mit rund zwei Dutzend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beobachtet sie das Weltgeschehen und überlegt sich, wie es die Sicherheit der Schweiz beeinflusst und wie das Land auf Veränderungen reagieren sollte. Die Abteilung von Pälvi Pulli ist eine intellektuelle Denkzelle im sonst sehr praktisch veranlagten Verteidigungsapparat des Bundes. Sie ist das sicherheitspolitische Hirn der Schweiz.

An einem Donnerstagnachmittag Anfang Juli sitzt Pälvi Pulli in ihrem Büro im Bundeshaus Ost, dem Amtssitz des Verteidigungsministeriums. Die Fenster sind weit geöffnet. Eine frische Brise weht durchs Zimmer. Der Blick geht hinaus auf den Gurten und die mächtigen Alpen. Wer den Raum betritt, der begreift, wie die Militärbürokratie im letzten Jahrhundert in diesen Büros auf die kuriose Idee kam, das besiedelte Land (und das Volk) im Falle eines Krieges aufzugeben und sich in den Bergen zu verstecken.

Frau Pulli, der Krieg in der Ukraine wird von Politikern wie dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz als Zeitenwende beschrieben. Was halten Sie von diesem Begriff?
Ich denke, dass er zutrifft. Wir erleben eine epochale Wende. Russlands Angriff auf die Ukraine hat sicher tiefgreifendere Folgen als die Krim-Invasion von 2014 und der Arabische Frühling von 2011. Hier bewegen wir uns in der Liga von 1989 und 1991.

Der Mauerfall und das Ende der Sowjetunion waren geopolitische Jahrhundertereignisse. Warum heben Sie den Ukraine-Krieg auf diese Ebene?
Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg versucht ein Land, mit dem erklärten Ziel, ein anderes Land auszulöschen, mit roher Gewalt und unter Drohungen mit dem Einsatz von Nuklearwaffen, Grenzen in Europa zu verschieben. Auch eine so massive und mutwillige Zerstörung ziviler Infrastrukturen haben wir lange nicht mehr gesehen. Putin versucht, gegenüber der Ukraine den Status quo ante wiederherzustellen, also den Zustand vor dem Zerfall der Sowjetunion. Die Beziehungen zu Russland werden während Jahren, eher sogar Jahrzehnten belastet sein. Eine Rückkehr zum business as usual wird es nicht geben. Die Sicherheitsordnung in Europa, so unvollkommen sie schon vor dem Krieg war, wurde über Bord geworfen.

Unvollkommen? Warum?
Weil es schon lange nicht mehr funktioniert hat mit Russland. Die Neunziger waren in der ehemaligen Sowjetunion eine Dekade des Chaos, aber auch der Hoffnung. Eine Wende zu einem dauerhaft besseren Verhältnis zum Westen schien möglich. Mit Putin ging es dann klar in die andere Richtung, spätestens ab 2007.

Woran machen Sie das fest?
Damals hat Putin in einer Rede anlässlich der 43. Münchner Sicherheitskonferenz die Kooperation mit dem Westen aufgekündigt. Ein Jahr später, 2008, folgte dann der Krieg mit Georgien. Zudem hat Putin zunehmend die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa marginalisiert, die die Friedensordnung in Europa verkörpert. Moskau hat den Zerfall der Sowjetunion und des Warschauer Pakts, des sowjetischen Gegengewichts zur Nato, nie verarbeitet. Wir haben vielleicht zu wenig verstanden, wie tief und lange dieses Trauma noch nachwirkt. Nun erleben wir eine Renaissance der imperialen Ambitionen Russlands. Das haben wir eindeutig unterschätzt.

Wie konnte das passieren?
Das muss man analysieren. Aber für mich ist jetzt nicht der Zeitpunkt für Soul-Searching im Sinne von: Was haben wir übersehen? Was hat die Nato falsch gemacht? Gerade bei der Nato muss man ja klar sagen: Es ist nicht die Nato, die unbedingt nach Osten expandieren wollte. Es waren demokratisch gewählte Regierungen in Nord- und Osteuropa, die den Nato-Beitritt wollten. Wobei oft schmerzhafte historische Erfahrungen mit Russland ein wichtiges Motiv dafür waren.

Pälvi Pulli weiss aus eigener Erfahrung, wie es sich anfühlt, unter dem dräuenden Einfluss Russlands zu leben. Sie wurde 1970 im zentralfinnischen Jyväskylä geboren, einer Universitätsstadt, die damals so etwas wie den äussersten Rand der Zivilisation markierte. Östlich lag der Eiserne Vorhang. Nördlich der Polarkreis. Helsinki war eine halbe Tagesreise entfernt. Dass sie zweiundfünfzig Jahre später in den höchsten Sphären des VBS wirkt, hat mit Zufällen zu tun – und nicht zuletzt mit ihrem Talent für Sprachen.

Nach dem Gymnasium in Jyväskylä reiste Pälvi Pulli ein Jahr durch Europa, jobbte hier und dort und verliebte sich 1991 in Bern in einen Italo-Schweizer. Sie entschied, ihren Studienplatz in Finnland aufzugeben, und schrieb sich an der Uni Neuenburg für Geschichte und Politikwissenschaften ein. Hier kam Pälvi Pulli zum ersten Mal näher mit der Schweizer Sicherheitspolitik in Berührung. In ihrer Abschlussarbeit untersuchte sie verschiedene Armeeeinsätze im Landesinnern, auch die sogenannte Blutnacht von Genf vom 9. November 1932. Damals eröffneten Rekruten das Feuer auf linke Demonstranten. Dreizehn Bürger wurden getötet, über sechzig verletzt. Für Pulli war der Bundesrat mitverantwortlich für die Katastrophe, weil er dem Kanton Genf Rekruten zur Verfügung stellte, sich aber nicht weiter um deren Einsatz kümmerte.

1999 nahm sie eine Stelle im Verteidigungsdepartement an. Es waren interessante Zeiten. Bundesrat Adolf Ogi war gerade dabei, die Armee für das 21. Jahrhundert umzubauen und die Sicherheitspolitik der Schweiz international zu öffnen. Das kam Pälvi Pulli zupass. Mit ihrem internationalen Hintergrund und ihren Sprachkenntnissen – sie spricht neben Finnisch und Französisch auch Englisch, Deutsch, Schwedisch, Italienisch und Russisch – wurden Vorgesetzte rasch auf sie aufmerksam. So stieg sie unter vier Bundesräten immer weiter auf, bis Guy Parmelin sie 2018 zur Chefin Sicherheitspolitik bestimmte. Inzwischen trägt sie auch den Botschafterinnentitel, was den Kontakt mit ausländischen Sicherheitspolitikerinnen und -politikern erleichtert.

Ihre Beziehung zu Finnland ist heute reduziert auf Familienbesuche und Ferienreisen. Eine erhöhte Sensibilität für das Verhältnis zwischen dem Westen und Russland bringt Pälvi Pulli dennoch mit. Geopolitik – das ist auch eine Frage der Familiengeschichte. Als die Sowjetunion Ende November 1939 Finnland angriff, ging Pälvi Pullis damals siebzehnjähriger Grossvater als Freiwilliger in die finnische Armee. Kauko Tumanto kämpfte als Infanterist im Winterkrieg, in dem Russland grosse Teile der damals finnischen Region Karelien eroberte. Und er kämpfte erneut, als Finnland 1941, unterstützt von Nazi-Deutschland, in die Gegenoffensive ging. Im Frühling 1942 wurde er durch eine Granate schwer verwundet und musste die Front verlassen. Kauko Tumanto ist heute einer der letzten überlebenden Kriegsveteranen Finnlands. Als er im letzten Dezember seinen hundertsten Geburtstag feierte, widmete ihm die Lokalzeitung ein Porträt. Das Foto zeigt einen feingliedrigen Mann mit schüchternem Lächeln. An der Brust: neun militärische Orden. Früher sei ihr Grossvater zurückhaltender mit seinen Erfahrungen an der Front umgegangen, sagt Pälvi Pulli. Jahrzehntelang habe er überhaupt nicht über den Krieg gesprochen, habe er einfach geschwiegen. Erst als Kauko Tumanto achtzig wurde, habe er alte Fotografien hervorgekramt und plötzlich zu erzählen begonnen. «Damals war ich aber bereits in der Schweiz», sagt Pälvi Pulli. Bis heute trägt Kauko Tumanto Splitter jener Granate in seinem Körper, die ihn 1942 beinahe getötet hätte. Sie verursachen ihm Schmerzen. So gesehen ist der Krieg mit Russland für ihn noch immer gegenwärtig.

Viele Finnen blickten schon lange vor dem Krieg argwöhnisch auf Russland. Seit dem Angriff auf die Ukraine fühlten sie sich bestätigt: Russland kann man nicht trauen. Ging es Ihnen auch so?
Nein, ich hatte eigentlich nie ein schlechtes Bild von Russland. Ich bin auch nicht in ständiger Angst vor einem Einmarsch aufgewachsen. In meiner Jugend war die Sowjetunion zwar da, wie ein grosser Bär, wurde aber im Alltag ausgeblendet. Ich hatte keine privaten Kontakte. Niemand wollte Russisch lernen, obwohl es möglich war. Es gab da eine mentale Grenze.

Hat es Sie überrascht, wie rasch die finnische Regierung bereit war zum Nato-Beitritt?
Man muss da differenzieren. Streng genommen war Finnland nicht mehr wirklich neutral, nicht so wie die Schweiz. Seit dem EU-Beitritt von 1995 sprach man eher von Allianzfreiheit. Finnland verzichtete auf einen Nato-Beitritt, um Russland nicht unnötig zu provozieren, pflegte aber eine sehr breite Kooperation mit dem Verteidigungsbündnis, wie übrigens auch Schweden. Der Entscheid für den Beitritt war also gar nicht mehr so ein grosser Schritt.

Das Tempo war dennoch bemerkenswert.
Ja, die nordischen Länder mit ihren pyramidalen Regierungssystemen können in Krisensituationen sehr schnell handeln. Zudem gibt es in Finnland den Reflex, dass man in Krisenzeiten die Reihen schliesst hinter dem Staatschef. Genau so war es nach dem 24. Februar.

Der 24. Februar war nicht nur eine Zäsur für Europa, sondern auch für Pälvi Pullis berufliche Tätigkeit. Davor war nur einem überschaubaren Kreis von Armeefreunden und Politikern bekannt, um wen es sich bei der Chefin Sicherheitspolitik im Verteidigungsdepartement handelt. Oft zudem nur aufgrund ihres Steckbriefs: Eine Frau (die erste). Eine Finnin (eingebürgert). Und eine Person ohne Erfahrung in der Armee. Wie gering ihre öffentliche Wahrnehmung war, lässt sich auch daran ablesen, dass die Online-Enzyklopädie Wikipedia bis heute keinen Eintrag enthält über Pälvi Pulli.

Der Überfall Russlands auf die Ukraine hat für Pälvi Pulli alles verändert. Hunderte sicherheitspolitische Fragen stehen plötzlich im Raum. Kurzfristige Fragen: Auf welcher Seite steht die Schweiz? Wem hilft sie? Und wie? Mit Geld? Mit Waffen? Mit humanitären Mitteln? Und längerfristige Fragen: Wie verändert Putins Krieg die Gefahren, gegen die sich die Schweiz verteidigen können muss? Was für eine Armee braucht sie dafür? Was kostet das? Und wo ist es sinnvoll, auf Partnerschaften zu bauen? Auf Bündnisse? Die Nato? Die EU? Es sind Fragen, die letztlich alle den existenziellen Kern der Schweiz berühren. Die Neutralität. Und alle diese Fragen liegen jetzt bei Pälvi Pulli auf dem Schreibtisch. Bis im Herbst soll sie für Bundesrat und Parlament die sicherheitspolitischen Folgen des Kriegs für die Schweiz analysieren und aufzeigen, wie die Schweiz stärker und enger mit der EU, der Nato und anderen internationalen Institutionen kooperieren könnte.

Wie grundlegend die Schweizer Sicherheitspolitik derzeit umgeschrieben wird, lässt sich freilich noch nicht sagen. Kehrt man zurück zu Pälvi Pullis historischer Parallele zur heutigen Weltlage, dem Ende des Kalten Kriegs, erhält man immerhin eine Ahnung davon, wie tiefgreifend geopolitische Umbrüche auf die Schweizer Armee und unseren Neutralitätsbegriff einwirken. Pälvi Pullis Denkzelle im VBS, die Abteilung für Sicherheitspolitik, ist im Grunde genommen selbst ein Kind von 1989. Vor dem Kollaps der Sowjetunion gab es in Bern keine eigentliche Sicherheitspolitik. Also keine echte Auseinandersetzung darüber, mit welchem Instrument der Staat spezifischen geostrategischen Gefahren begegnet. Die Schweiz hatte einfach eine Armee. 800'000 Mann und einen Verteidigungsauftrag. Das änderte sich Anfang der Neunzigerjahre. Die Politik wollte eine kleinere – und günstigere! – Armee und eine Sicherheitsstrategie, die auf diffusere Bedrohungen und grenzüberschreitende Gefahren ausgerichtet ist. Spätestens mit den Jugoslawienkriegen realisierte der Bundesrat, dass die Sicherheit des Landes auch von der Sicherheit im Ausland abhängt. 1999 erklärte der damalige Verteidigungsminister Adolf Ogi: «Die Gefahren haben sich globalisiert, die Antworten müssen sich ebenfalls internationalisieren.» Kooperation war das Gebot der Stunde. Schweizer Vertreter engagierten sich nun in multinationalen Institutionen für die atomare Abrüstung. Schweizer Soldaten leisteten Auslandeinsätze als UNO-Blauhelme. Die Schweiz schloss sich der Friedensförderung der Nato an. Der Bundesrat übernahm selbstständig UNO-Sanktionen. Für ein Land, das seinen Blick so lange und so stur nach innen gerichtet hatte, war jeder dieser Schritte ein Tabubruch. Um diesen Umbruch zu bewältigen (und um die zivile Kontrolle über die Armee zu stärken), schuf Adolf Ogi in den Neunzigern die Abteilung Sicherheitspolitik. Sie wurde zum Kreisssaal, in dem die neue Sicherheitspolitik der Schweiz geboren wird.

Heute ist Pälvi Pulli die Chefärztin. Der politische Druck ist bereits maximal. Die Frage, wie die Schweiz auf den Ukraine-Krieg reagieren soll, elektrisiert die Politik seit Februar. Die FDP, die Mitte-Partei und die Grünliberalen haben sich bereits vom bisherigen Neutralitätsverständnis gelöst. Sie drängen auf Waffenlieferungen an die Ukraine und auf eine Öffnung zur Nato. Ganz anders die SVP. Ihr Vordenker Christoph Blocher will die integrale Neutralität aus dem Kalten Krieg mittels Volksinitiative in die Verfassung schreiben und dem Bundesrat sogar verbieten, sich internationalen Wirtschaftssanktionen anzuschliessen.

Die Neutralitätsdebatte wird hitzig geführt. Was bedeutet das für Sie?
Wir spüren natürlich das grosse Interesse. Wir haben sehr viele Anfragen und werden genau beobachtet. Es gibt also Erwartungsdruck. Gleichzeitig ist die Situation sehr volatil. Unsere Aufgabe ist es im Moment, den Fokus vom täglichen Kriegsgeschehen zu lösen und die grossen Linien zu sehen. Was bedeutet dieser Krieg für die Zukunft der Schweiz? Diese Frage zu beantworten ist nicht einfach. Aber wir können auch nicht sagen, wir stellen uns diese Frage in einem Jahr, wenn wir mehr wissen. Die Welt verändert sich jetzt, und wir müssen uns mit der Welt verändern.

Was sind bisher die wichtigsten Auswirkungen für die Schweiz?
Sicher das Zusammenrücken der europäischen und nordatlantischen Wertegemeinschaft. Es gibt viel mehr Kooperation. Und der Verteidigungsgedanke wird wichtiger. Beides betrifft die Schweiz. Wir müssen schauen, wo wir unsere internationale Zusammenarbeit verstärken können und wollen.

Ein Nato-Beitritt der Schweiz ist nicht denkbar.

Ist ein Nato-Beitritt der Schweiz nach dem Vorbild von Finnland denkbar?
Nein. Wir befinden uns schon geografisch in einer ganz anderen Situation. Ein Nato-Beitritt ist für die Schweiz nicht notwendig und ehrlicherweise politisch auch nicht machbar. Schon heute kooperieren wir bei der Friedensförderung, bei der Cyberabwehr und bei der Rüstung mit der Nato. Nun wollen wir aufzeigen, wo wir aufgrund der veränderten Sicherheitslage mehr machen könnten, wo wir den Spielraum, den wir als neutraler Staat haben, noch weiter ausnutzen könnten.

Jede weitere Annäherung führt de facto zu einer grösseren Abhängigkeit von der Nato.
Annäherung klingt so, als wollten wir jetzt ins Vorzimmer der Nato eintreten. Ich spreche lieber von Zusammenarbeit. Man muss realistisch sein: Die Schweiz verfolgt ihren eigenen Weg in der Sicherheitspolitik. Heute, mit diesem Krieg, werden wir vielleicht den Cursor einfach ein bisschen verschieben. Weg von Eigenständigkeit und selbstständiger Verteidigung hin zu mehr Kooperation. Aber wir müssen nicht alles infrage stellen. Überhaupt nicht.

Wie lange, denken Sie, wird dieser Krieg noch dauern?
Wir kommen jetzt in eine entscheidende Phase. Beide Seiten haben grosse Verluste und sind zunehmend erschöpft. Gleichzeitig ist eine verhandelte, dauerhafte Lösung heute schwierig vorstellbar. Damit ein Frieden nachhaltig ist, braucht es Bedingungen, mit denen beide Parteien leben können. Ich gehe derzeit eher davon aus, dass wir dereinst einen fragilen Waffenstillstand sehen werden. Eine Situation, mit der die Ukraine nicht zufrieden sein wird und in der Differenzen möglicherweise erneut mit Waffen ausgetragen werden.

Das Gespräch endet, und in Pälvi Pullis Büro ist es plötzlich still. Nur für einen kurzen Augenblick, aber gerade lange genug, damit ein sicherheitspolitischer Laie seine diffusen Hoffnungen auf ein baldiges Kriegsende begraben und sich mental auf eine dunklere Zukunft einrichten kann.


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